Jürgen Kriz: Minderheitenvotum zum Methodenpapier des WB (29.11.2007)

Minderheitenvotum von Prof. Dr. Jürgen Kriz vom 29.11.2007
zum Methodenpapier des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie (Version 2.6)

Dem „Methodenpapier“ kann nicht zugestimmt werden.

Dabei wird durchaus gewürdigt, dass dieses Papier, u. a. durch die Aufnahme von naturalisti-schen Studien, die prinzipielle (aber noch nicht entwickelte) Berücksichtigung von Einzelfallstudien, die Beachtung externen Validität etc., einige Einseitigkeiten des alten Methodenpapiers korrigiert hat.

Auch der „Kriterienkatalog“ (im Anhang des „Methodenpapiers“) stellt für die wissenschaftliche Diskussion eine gute Grundlage dar, wie Psychotherapiestudien – sofern sie im Paradigma einer quantitativen Wirkungsforschung angelegt sind – beurteilt werden können. Dies liefert wertvolle Hinweise für entsprechende Forscher, was sie bei solchen Studien in Hinkunft berücksichtigen sollten bzw. für wissenschaftliche Journals, welche Informationen sie publizieren müssen, damit solche Studien von Gutachtern wie dem WBP bewertet werden können. Daher wird der innerwissenschaftliche Diskurs quantitativer Wirkungsforschung unzweifelhaft von diesen Aspekten profitieren.

Das „Methodenpapier“ sollte aber nicht primär nur dem innerwissenschaftlichen Diskurs dienen. Vielmehr wurde der WBP nach § 11 PsychThG dafür eingerichtet, um auf Antrag der zuständigen Behörden Gutachten über die „wissenschaftliche Anerkennung“ von Verfahren abzugeben. Daher sollte ein „Methodenpapier“ eigentlich primär regeln, wie diese Begutachtung vorgenommen werden kann. Für diesen Zweck aber weist das „Methodenpapier“ nach Auffassung der Minderheit u. a. folgende gravierende Mängel auf:

1.) Bezeichnenderweise ist im „Methodenpapier“ gar keine Antwort mehr auf die zentrale Frage der „wissenschaftlichen Anerkennung“ eines Verfahrens vorgesehen. Sondern das Methodenpapier springt von der Feststellung der Studienqualität und einer Festlegung der Mindesterfordernisse in einzelnen Anwendungsbereichen (II.5.1) gleich zur „Empfehlung für die Vertiefungsgebiete der Ausbildung zum Psychotherapeuten“ (III).

Die beiden Vorsitzenden der 1. Amtsperiode des WBP (Prof. Hoffmann und Prof. Margraf) hatten noch am 15.01.2006 zusammenfassend betont, es handele sich um ein „Missverständ-nis“, wenn man meine, dass die Begutachtungsmethodik „Psychotherapieverfahren in Teilbereiche auflösen“ wolle um „diese jeweils als wissenschaftlich zu bestätigen oder zu verwerfen.“

Genau ein solches „Missverständnis“, nämlich dass Teilbereiche eines Verfahrens als wissenschaftlich bestätigt oder verworfen werden können, wird durch das neue „Methoden-papier“ aber nicht beseitigt, sondern die Gefahr dieser Missinterpretation ist erhöht.

2.) Entscheidungen über die Zulassung von Verfahren zur Ausbildung zum Psychotherapeuten und über Vertiefungsgebiete sind Angelegenheiten der zuständigen Behörden bzw. der Kammern. Ein „Methodenpapier“, das sich auf § 11 PsychThG beruft, sollte über die Erfüllung seines Gutachterauftrags hinaus hier nicht eingreifen wollen.

3.) Es gibt neben den KJP in Deutschland keine „Erwachsenen-Psychotherapeuten“ sondern nur „Psychologische Psychotherapeuten“, die Erwachsene, Kinder und Jugendliche behandeln. Die Trennung in „Psychotherapie bei Erwachsenen“ und solche bei Kindern und Jugendlichen steht rechtlich „quer“ zum ggf. Gutachterauftrag nach § 11 PsychThG, womit ja Behörden in ihrer Entscheidung zur Approbation unterstützt werden sollen.

Diese Trennung ist auch inhaltlich nicht haltbar, da zwar von Studien zur Wirksamkeit bei Erwachsenen nicht einfach auf die Wirksamkeit bei Kindern geschlossen werden kann – solche Schlüsse sind aber auch z. B. von 12 – 18jährigen auf 3 – 6jährige, oder von Adoleszenten auf Greise etc. nicht fundierter. Eine Prüflogik, die für jede relevante Altergruppe und für alle einzelnen Symptomgruppen (z.B. ICD-Diagnosen) beweiskräftige Studien fordert, wäre wegen der Fülle an Kombinationen ohnedies nicht realisierbar und wäre daher absurd. Dieses Problem kann aber nicht dadurch gelöst werden, dass willkürlich nur zwei Gruppierungen im Alter und/oder willkürlich gewählte Festschreibung von „Anwendungsbereichen“ (III.1 und III.2) vorgenommen werden – zumal der am häufigsten vorkommende Anwendungsbereich von Psychotherapie, nämlich Patienten mit sog. „komorbiden“ Störungen, nur am Rande als Sonderbereich berücksichtigt wurde.

Sinnvoll zur Beurteilung der Wirksamkeit eines Verfahrens wäre die Forderung nach Belegen für eine angemessen große Symptom- und Altersvarianz, wobei den entsprechenden Wirkstudien ein exemplarischer Charakter zukommt. Diese Logik lag – bei aller sonstigen Kritik – zumindest noch dem alten „Methodenpapier“ zugrunde.

4.) Das „Methodenpapier“ ist zu wenig innovativ und kreativ, um Beurteilungen der „wissen-schaftlichen Anerkennung“ im Rahmen des § 11 PsychThG entsprechend den Erfordernissen der deutschen (Wieder)-Zulassungsbedingungen vorzunehmen: Es ist insbesondere nicht in der Lage, hinreichende Gerechtigkeit herzustellen zwischen solchen therapeutischen Ansätzen, die im Paket von „Richtlinienverfahren“ im GKV-System geblieben sind und solchen, die seit 1999 ausgeschlossen werden, obwohl mit ihnen bis 1999 erfolgreich Kranke in sehr großer Zahl behandelt wurden, sie international als wissenschaftlich anerkannt gelten, sie in anderen vergleichbaren Nationen ambulant durchgeführt werden und sie selbst in Deutschland im Kontext von Kliniken bedeutsame Anteile der Krankenbehandlung abdecken. „Wissenschaftlichkeit“ ist aber nicht an Nationalgrenzen gebunden. Und die Behandlung von Patienten ist im ambulanten Kontext von den Erfordernissen an die „Wissenschaftlichkeit“ und an die „Wirksamkeit“ her nicht derart unterschiedlich zum stationären Kontext, dass überall sonst erfolgreich eingesetzte Verfahren lediglich aus deutschen ambulanten Praxen ferngehalten werden.

Indem das „Methodenpapier“ die Begutachtung der entscheidenden Frage nach der „wissen-schaftlichen Anerkennung“ auf quantitative Wirksamkeitsbeweise reduziert, werden viele wichtige Belege zur Wissenschaftlichkeit, Wirksamkeit und zum Nutzen eines Verfahrens außen vor gelassen, die aus qualitativen Einzelfall- und Gruppenstudien, aus der quantitativen und qualitativen Prozessforschung oder der Forschung zur Wirkweise stammen (um nur wenige weitere Ansätze wissenschaftlicher Psychotherapieforschung zu nennen). Diese systematische Nicht-Berücksichtigung solcher Forschungsergebnisse durch das „Methodenpapier“ steht in krassem Gegensatz zur Evidenz, die viele Wissenschaftler bei der Beurteilung von Psychotherapieverfahren gerade (auch) aus solchen Forschungsansätzen ziehen und die dazu geführt haben, dass weit mehr als die Richtlinienverfahren (auch) in deutschen Universitäts-Lehrbüchern oder universitären Prüfungskatalogen etc. als wirksam und nützlich aufscheinen und von der internationalen Wissenschaftlergemeinschaft auch als wirksam und nützlich beurteilt werden.

Bei aller Wichtigkeit, dass Wissenschaftler auch abstrakte, ideelle Kriterien von Wirksamkeits-beweisen und wissenschaftlicher Fundierung im Rahmen quantitativer Methodik diskutieren, sollte ein „Methodenpapier“ für Gutachten im Rahmen des § 11 PsychThG die relevanten Kontexte des Bereichs, für den begutachtet wird, mit berücksichtigen.

Dieses „Methodenpapier“ zeigt aber keine Wege auf, um wissenschaftlich begründbare und begründete Forschungsbelege zur Wirksamkeit und zum Nutzen eines Psychotherapieverfah-rens – über eine enge quantitative Prüfmethodik hinausgehend – zu berücksichtigen. Es stellt daher eine kaum zu nehmende Hürde für solche Verfahren dar, deren wissenschaftliche Begründung und Erforschung vorwiegend (auch) anderen Paradigmen bzw. Prüfmethodiken folgt(e). Das „Methodenpapier“ lässt sich daher zu leicht als ein Bollwerk dafür verwenden, um in der internationalen Wissenschaft angesehene Verfahren in Deutschland nicht wieder für die ambulante Versorgung und die Ausbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zuzulassen.

Bereits diese hier benannten Punkte sind so gravierend, dass die Minderheit das „Methodenpapier“ als Grundlage für Gutachten nach § 11 PsychThG ablehnen musste.

Osnabrück, den 29. November 2007

Prof. Dr. Jürgen Kriz