Werner Eberwein: Was ist Humanistische Psychotherapie? (RP 7/8 2012)


»report psychologie« sprach mit dem Vorstandsmitglied der AGHPT Werner Eberwein, www.werner-eberwein.de
Das Gespräch führte Anita Mosch.

report psychologie ‹37› 7/8|2012


Anita Mosch: Wo liegen die Ursprünge der Humanistischen Psychotherapie?

Werner Eberwein: Wesentliche philosophischen Quellen der Humanistischen Psychotherapie sind der Existenzialismus von Soeren Kierkegaard und Jean-PaulS artre, die Dialogphilosophie von Martin Buber und der moderne Humanismus. Von Seiten der Psychologie spielen eine Reihe von Dissidenten der Psychoanalyse eine Rolle, wie Wilhelm Reich, Fritz Perls, Erich Fromm und andere, ebenfalls die Gestaltpsychologie von Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Koffka und Kurt Goldstein sowie die Humanistische Psychologie von Abraham Maslow, Rollo May, Carl Rogers und vielen anderen. Weitere Einflüsse sind Bewegungslehren von Yoga über Tanz und Schauspiel bis zur Massage und die sozialen und politischen Bewegungen vor allem der Nach-68er-Zeit.

A.M.: Die humanistischen Ansätze erscheinen auf den ersten Blick recht heterogen. Was ist das Verbindende zwischen ihnen?

W.E.: Was die Ansätze der Humanistischen Psychotherapieverbindet, ist vor allem ihr Menschenbild. Im Mittelpunktsteht das Bild vom mündigen Menschen. Wirsehen den Menschen als Subjekt, das auf Grundlage seiner biografischen, sozialen und biologischen Einbindungen bewusst erlebt, frei handelt und sein Leben aktivund kreativ gestaltet. Eine solche Schwerpunkt setzunghat weitreichende Konsequenzen für den psychotherapeutischen Prozess.

A.M.: Wie kann man sich denn den Humanistischen Psychotherapieprozess vorstellen?

W.E.: Obwohl gerade die Humanistische Psychotherapieeine große Vielfalt hochwirksamer Interventionen entwickelt hat, sehen wir unsere Arbeitsweise nicht primär als interventionistisch an. Für uns ist der psychotherapeutische Prozess etwas Kooperatives, Dialogisches, Intersubjektives. Ein Humanistischer Psychotherapeut bemüht sich, den Patienten als ganze Person, sowohl in seinem Leiden als auch in seinen Potenzialen wertschätzend anzunehmen. In der Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen wie »Wofür lebe ich eigentlich?«, »Was ist meine Identität gegenüber dem anderen Geschlecht?« oder »Wie gehe ich mit Erlebnissen von Gewalt, Leid oder Verlust um? sind wir als Therapeuten unseren Patienten verbunden, denn auch wir sind in unserem Leben immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert. Der Humanistische Therapieprozess ist eine gemeinsame, kooperative Suchbewegung, in der sowohl der Patient als auch der Therapeut darum ringen, konstruktive Antworten auf die Herausforderungen zu finden, vor die das Leben den Patienten stellt.

A.M.: Viele Interventionen der humanistischen Verfahren werden auch über die Grenzen der Psychotherapiehinaus eingesetzt. Was halten Sie davon?

W.E.: Wenn humanistische Grundorientierungen wie personale Akzeptanz, Empathie und Dialog Eingang in andere Anwendungsfelder finden, beispielsweise in die Pädagogik oder die Beratungspraxis, ist das zu begrüßen, sofern die Quellen solcher Arbeitsweisen korrekt dargestellt werden. Bedenklich ist es, wenn humanistische Arbeitsweisen als bloße Techniken im Rahmen von Richtungen angewandt werden, die die Wertorientierungen der Humanistischen Psychotherapie nicht teilen.

A.M.: Wie viele Humanistische Psychotherapeuten gibt es?

W.E.: Die meisten der erfahreneren psychotherapeutischen Praktiker haben eine ganze Reihe von Ausbildungen absolviert, darunter in der Regel auch humanistische. Sehr viele als Tiefenpsychologen, aber auch als Verhaltenstherapeutenzugelassene Psychotherapeuten sind in ihrem Arbeitsstil von humanistischen Orientierungen beeinflusst. Die elf Mitgliedsverbände der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie haben zusammen etwa 10 000 Mitglieder – wir können also davonausgehen, dass es noch wesentlich mehr Psychotherapeutengibt, die in ihrer Arbeit humanistisch orientiert oder beeinflusst sind.

A.M.: Wie kommt es, dass die Humanistische Psychotherapie noch keinen Eingang in das ambulante Krankenkassensystemgefunden hat?

W.E.: Obwohl die Humanistische Gesprächspsychotherapie bereits 2006 vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapieanerkannt wurde, weigert sich der Gemeinsame Bundesausschuss konsequent, sie als Kassenleistung anzuerkennen. Der Hauptgrund dafür ist die Lobbypolitik der Richtlinienverfahren, die in der Krankenkassenfinanzierungaus pekuniären Gründen unter sich bleiben wollen und das durch eine bürokratische Blockadepolitikdurchsetzen. Im Wissenschaftlichen Beirat sitzt zurzeit kein einziger Vertreter der Humanistischen Psychotherapiemehr, was es uns schwer macht, hier einen Fuß in die Tür zu bekommen. Auch sind die Kriterien, die der Wissenschaftliche Beirat an die Anerkennung eines Verfahrens angelegt, nach Meinung vieler internationaler Experten nicht geeignet, die Vielfalt psychotherapeutischer Prozesse zu erfassen, sondern bildet nur ein sehr begrenztes Verständnis von Effektivität ab. Ein weiterer Grund ist sicherlich die traditionelle Gespaltenheit des humanistischen Lagers aufgrund einer gewissen Eigenwilligkeit ihrer Schulenbegründer. Aber jetzt, in der dritten Generation der Humanisten, besinnen wir uns verstärkt unserer gemeinsamen Wurzeln und rücken – auch unter dem Konkurrenzdruck gegenüber den Richtlinienverfahren – enger zusammen.