Jochen Eckert: Auf dem Weg zu einer psychotherapeutischen Monokultur

Das folgende ist das Manuskript eines Workshops von Prof. em. Dr. Jochen Eckert auf dem 9. Hamburger Symposion Persönlichkeitsstörungen “Von Verdammen und Versöhnen”, 7. und 8. September 2012.

Prof. Eckert war 1998-2012 Mitglied bzw. stellvertretendes Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie (WBP). Er war Präsident der Deutschen Psychologischen Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie (DPGG) und stellvertretender geschäftsführender Direktor des Instituts für Psychotherapie der Universität Hamburg.

Adresse: Prof. em. Dr. Jochen Eckert, Von-Melle-Park 5, 20146 Hamburg, E-Mail: jeckert@uni-hamburg.de


Jochen Eckert

Ignorieren, manipulieren und andere Wege, die jeweils anderen Therapieverfahren zu verdammen – Auf dem Wege zu einer psychotherapeutischen Monokultur –

Mit einem Workshopthema wie diesem kann man sich nicht nur Freunde machen. Warum habe ich mich also überreden lassen, diesen Workshop anzubieten?

Es gibt zwei Gründe: Zum einen bin ich ein “Betroffener” und zum anderen treibt mich die Sorge um die Zukunft der Psychotherapie an den Hochschulen und die der qualitativ guten psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung um.

Dass ich ein Betroffener bin, hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil besteht darin, dass ich viele Machenschaften im Zusammenhang mit den Rangeleien der Therapieschulen untereinander und ihre Folgen “hautnah” mitbekommen habe.

Ich bin Psychologe und war nach dem Studium als Klinischer Psychologe mit einer Ausbildung in Gesprächspsychotherapeut 20 Jahre in der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf und weitere 20 Jahre als Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt GPT hier an der Universität Hamburg tätig. In Rahmen der Professur war ich u.a. 10 Jahre lang Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie gemäß §11 PsychThG, Mitglied der Hamburger Psychotherapeutenkammer und externer Gutachter in einem Ausschuss des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss), der über die Zulassung der Gesprächspsychotherapie als Kassenverfahren entschieden hat, und zwar negativ.

Mein Nachteil besteht darin, dass ich die wünschenswerte Objektivität vermutlich nicht aufbringen kann, auch wenn ich mich darum bemühen würde. Ich denke, das werden sie von mir auch nicht erwarten, wenn ich Ihnen die Situation der GPT – also meines Verfahren – in Deutschland kurz umreiße:

Da die GPT vom WBP als ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren eingestuft worden ist, können Sie in diesem Verfahren theoretisch die Approbation erlangen. Praktisch ist das aber nicht möglich, weil nach Ablehnung der Kassenzulassung durch den G-BA die drei staatlich anerkannten GPT-Ausbildungsstätten in Deutschland ihre Ausbildungsangebot 2007 mangels Nachfrage eingestellt haben. 12 Jahre nach Inkrafttreten des PsychThG gibt es derzeit noch 13 Diplompsychologinnen, die sich in einer Ausbildung zu PP im Schwerpunkt Gesprächspsychotherapie befinden und diese hoffentlich auch abschließen können – und wenn, dann werden Sie unter den 12.000 approbierten PP kaum auszumachen sein.

Mit anderen Worten: Psychotherapie basiert derzeit im deutschen Gesundheitssystem nur noch auf zwei Paradigmen: dem psychoanalytischen und dem verhaltenstherapeutischen. Wenn man sich die Situation an den Universitäten ansieht, dann ist absehbar, dass sich auch das bald ändern wird.

2009 waren von den 47 Lehrstühlen für Klinische Psychologie und Psychotherapie 42 mit Vertretern der Verhaltenstherapie, 4 mit Psychoanalytikern und 2 mit Gesprächpsychotherapeuten besetzt. Inzwischen sind noch 2 Psychoanalytiker und 0 Gesprächspsychotherapeuten Lehrstuhlinhaber. 2009 waren 68% der Ausbildungsteilnehmer in einer Ausbildung mit Schwerpunkt VT. Dieser Anteil wird steigen, wenn die vom Bundesgesundheitsministerium favorisierte Direktausbildung für PPs – analog der Medizinerausbildung – kommt.

In diesem Jahr hat der Heidelberger Verhaltenstherapeut Peter Fiedler ein Buch mit dem Titel “Die Zukunft der Psychotherapie” herausgegeben und mit dem Untertitel versehen: “Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?”. Ich finde, die Antwort ist klar: Es gibt keine Konkurrenz mehr zwischen den Therapieverfahren, sobald die Verhaltentherapie alle bestehenden Ansätze in irgendeiner Form integriert und damit den Nachweis für deren Überflüssigkeit und für den eigenen Alleinvertretungsanspruch geführt hat.

Methoden des Verdammens und Ausschaltens anderer Therapieverfahren

Verdammen in der Form von Verleugnen

Das möchte ich am Beispiel eines Drittmittelantrages bei der DFG illustrieren.

Der WBP hatte im Zuge des Verfahrens der wissenschaftlichen Anerkennung der GPT empfohlen, Wirksamkeitsstudien in den Störungsbereichen durchzuführen, in denen ihre Wirksamkeit bisher unzureichend beforscht worden waren. Dazu gehörte die Bulimie. Ein Antrag auf Förderung einer solchen Studie durch die DFG wurde 2003 u.a. mit folgender Begründung abgelehnt.

“Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von psychotherapeutischen Interventionen, die sich als bei der Bulimia nervosa wirkungsvoll erwiesen haben, An der Spitze stehen die kognitiv-behavioralen Maßnahmen. Der Grund, weshalb nun auch noch die Gesprächspsychotherapie auf ihre therapeutische Wirksamkeit untersucht werden soll, bedarf bei dieser Sachlage einer triftigen Begründung. Diese allerdings bleibt der Antragsteller – trotz zahlreicher intellektueller Wendungen – schuldig” (aus: Gutachterauszüge im Brief der DFG vom 20.03.2003).

Die “intellektuellen Wendungen” bestanden in dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer differentiellen Therapieindikation, da weniger als 50% der Bulimikerinnen von den verhaltenstherapeutischen Therapieangeboten ausreichend profitieren: Entweder weil sie das geplante Vorgehen von vornherein ablehnen oder vorzeitig abbrechen oder die Symptomatik sich nicht verändert oder gar verschlimmert oder sie einen Rückfall erleiden.

Für den 2. Gutachter war die Überlegung, die Tauglichkeit der GPT als eine Alternative zur VT zu untersuchen, von vornherein obsolet, weil er die GPT für ein “ineffektives” Therapieverfahren hält.

Solche Einlassungen kann man dann nur als Ahnungslosigkeit – gepaart mit Vorurteilspflege – verbuchen – oder sind sie als gezieltes berufspolitisch motiviertes Handeln zu verstehen?

In der neuesten , d.h.. 5. Auflage des Handbuches der empirischen Therapieforschung von Bergin & Garfield kommen Lambert & Ogles (2003) zu dem Schluss, dass das 1975 von Luborsky aufgestellte Dodo-Bird-Verdikt immer noch gültig ist: Wie beim Wettlauf der Tiere in Alice in Wonderland gibt es im Hinblick auf die verschiedenen Therapieverfahren keine Sieger und keine Besiegten: Im Mittel sind alle Therapieverfahren, wenn sie lege artis angewandt werden, gleich wirksam.

Verdammen in der Form von Manipulieren

Der G-BA, der darüber zu entscheiden hatte, für welche Leistungen die Krankenkassen aufkommen, kam unter Einsatz von recht breit angelegten Manipulationstrategien 2006 zu dem Schluss, dass der Nutzen und die Wirkung von Gesprächspsychotherapie nicht ausreichend nachgewiesen seien, so dass sie nicht in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden könne.

Eine Prüfung dieser Nutzenbewertung des G-BAs durch eine von der BPtK eingesetzte Kommission von ärztlichen und psychologischen Psychotherapieforschern mit unterschiedlichen Therapieorientierungen fasste ihre Kritik an der G-BA Bewertung so zusammen:

a. “Der Bewertung wurde eine unzutreffende Definition der Gesprächpsychotherapie zugrunde gelegt, wodurch international anerkannte Wirksamkeitsstudien zur Gesprächpsychotherapie nicht berücksichtigt wurden
b. An die Stelle einer differenzierten wissenschaftlichen Bewertung des Verfahrens wurde eine ausschließlich dichotome Studienbewertung gesetzt
c. Zur Studienbewertung wurden Kriterien herangezogen, die mit dem aktuellen Stand der Psychotherapieforschung nicht vereinbar sind
d. Die Evidenzstufen der Verfahrensordnung sind unberücksichtigt geblieben
e. Die in der Verfahrensordnung vorgegebene “Gesamtbewertung im Versorgungskontext” ist nicht erfolgt.”
(Strauß et al., 2010, S. 167)

Gegen Entscheidungen des G-BAs ist ein Widerspruch, z.B. über den juristischen Weg, nicht möglich, weil er ein Selbstverwaltungsorgan ist.

Verdammen durch Ignorieren, Verschweigen und Simplifizieren

Im Zuge der Umstellung der universitären Ausbildung für Psychologen auf Bachelor- und Masterstudiengänge wurden neue Lehrbücher auf den Markt gebracht. In der Reihe “Workbook” erschien bei Beltz das Buch “Klinische Psychologie: Psychische Störungen”, herausgegeben von Martin Hautzinger und Elisabeth Thies.

Die Zahl der bisher in Lehrbüchern der Klinischen Psychologie behandelten Paradigmen der Klinischen Psychologie wird in diesem Werk von fünf auf drei reduziert: auf das psychodynamische, das kognitiv-lerntheoretische und ein biologisches Paradigma. Eingespart im Dienste der Entschlackung des Lehrstoffes angesichts verkürzter Studienzeiten wurden das humanistische und das systemische.

Können sich die psychoanalytisch orientierten Kollegen nun freuen, dass die Psychoanalyse weiterhin als ein wichtiges Paradigma in der akademischen Klinischen Psychologie angesehen und unterrichtet wird? Ich glaube das nicht. Denn: In der “abschließenden Bewertung” des psychodynamischen Paradigmas kann man lesen, dass wir Sigmund Freud vier wichtige Erkenntnisse verdanken, eine davon wird so beschrieben:

“Die eigentlichen Gründe für das Verhalten von Menschen sind nicht immer offensichtlich. Für Psychotherapeuten ist es wichtig, nicht alles für bare Münze zu nehmen, sondern zu versuchen, hinter die Kulissen zu blicken” (Hautzinger & Thies, 2008, S. 6).

Zum Klinischen Interview wird folgendes ausgeführt:

“Je nachdem, in welchem Paradigma der Kliniker arbeitet, können sich Art und Inhalte der Befragung unterscheiden. Ein psychoanalytisch orientierter Psychotherapeut fragt vielleicht mehr nach Kindheitserlebnissen, während sich ein Verhaltenstherapeut stärker auf aktutelles Verhalten und dessen Auslöser bzw. Folgen konzentriert” (S. 19).

Geht es noch vereinfachender?

Verdammen durch das Errichten von Pappkameraden

Eine Methode, Verachtung auszudrücken, besteht im Referieren von angeblichen Behauptungen. Ein Beispiel liefert der Kollege Franz Caspar, Nachfolger von Klaus Grawe in Bern. In seinem Beitrag über die Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in der zweiten Auflage des Handbuches der Borderline-Störungen findet sich der Hinweis:

“Es gibt kaum eine Störung, bei der die therapeutische Beziehung so wichtig und gleichzeitig so kompliziert ist wie bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Therapeutenvariablen nach Rogers (s. Kap. 60) oder allgemein menschliche Qualitäten reichen da nicht aus” (Caspar & Berger, 2011, S. 676).

Da außer Herrn Caspar und Herrn Berger bisher niemand behauptet hat, dass die “Therapeutenvariablen nach Rogers” ausreichten, die Beziehung zwischen Therapeut und Borderlinepatient zu einer heilsamen zu machen, handelt es sich wohl um eine Kritik von der Art :”Ein wesentlicher Mangel der Nacht besteht darin, dass die Sonne nicht scheint”.

Verdammen in der Form von manipulativen Studiendesigns

Wenn man empirisch prüfen will, welche Therapie bei einer bestimmten Störung die besseren Resultate aufweist, führt man eine sog. Therapievergleichsstudie durch. Dabei müssen die Bedingungen für die beiden miteinander zu vergleichenden Verfahren fairerweise vergleichbar sein. Das aber ist in der Regel nicht der Fall. So konnten Luborsky et al. wieder holt, z.B. 1999, nachweisen, dass die errechnete Überlegenheit eines Verfahrens in einer Therapievergleichsstudie keinen Bestand hatte, wenn man bei der Berechnung die sog. “allegiance” (“Vasallentreue”) des Untersuchungsleiters, d.h. seine Schulenzughörigkeit, mit in Rechnung stellte.

Wie sehen solche Studien aus? Hier ein Beispiel: Cottraux et al. (2009) möchten nachweisen, dass eine speziell auf die Behandlung von Borderlinepatienten ausgerichtete Behandlunsmethode im Rahmen von kognitiv-behavioraler Therapie (CT) wirksam ist, und zwar wirksamer als der Einsatz von Rogerian Supportive Therapie (RST).

Die Studientherapeuten haben alle einen VT-Abschluss und fünf Jahre Berufserfahrung in diesem Verfahren. Für die Studie lernen sie in 10 Doppelstunden RST, indem sie 10 Therapieprinzipien von Rogers lernen und dann auch anwenden. Diese Prinzipien sind generell und nicht auf die Borderlinstörung abgestellt.
Das Therapieprinzip Nr. 3 für RST lautet: “The therapists were to have an unconditional positive regard for he patients, whatever they said” . (…)
Das Prinzip 9 lautet: “The therapists were to politely ignore or refuse requests for advice, directive behaviors, homework, behavioral experiments, cognitive schema modification, problem solving, or exposure for feared mental images or real live situations.” (p. 309).

Dazu fällt mir nun nichts mehr ein, außer eine Studie auf vergleichbarem Niveau anzuregen. Verglichen wird in dieser Studie ein auf Patienten mit einer Borderlinestörung abgestimmtes Vorgehen im Rahmen des Klientenzentrierten Konzepts mit ausgebildeten und erfahrenen Gesprächspsychotherapeuten. Diese behandeln dann auch die Vergleichgruppe mit stützender Verhaltenstherapie (S-VT). Dabei lernen sie wichtige Lernprinzipien und wenden sie an, z.B. Prinzip 3: “Unterlassen die Patienten maladaptive Verhaltenweisen, z.B. Schneiden mit Rasierklingen in die Unterarme, dann verstärken Sie das erwünschte Verhalten: Sagen Sie “gut gemacht!” und geben sie zur Belohnung auch Bonbons, nachdem sie vorher exploriert haben, welches die Lieblingssorte ihrer Patienten ist.”

Die Psychotherapie auf dem Wege zu einer Monokultur

1972 gab es einen der ersten Kongresse zum Thema Verhaltenstherapie. In diesen Anfangsjahren standen an der Spitze der VT-Bewegung Herr Jörg Brengelmann vom Max-Planck-Institut in München und Rudolf Cohen von der Universität Konstanz.

In einer Diskussion im Anschluss an einen Vortrag über Anwendungsbereiche von VT wurde Herr Brengelmann von einem Teilnehmer gefragt, ob man mit dieser Art von Psychotherapie auch schizophrene Patienten behandeln könne. Darauf hin flippte Herr Brengelmann fast aus und belehrte den Frager harsch: Mit so etwas Unwissenschaftlichem wie “Psychotherapie” möchte die Verhaltenstherapie nicht in Verbindung gebracht werden.

Nun, das ist lange her und die Zeit hat viele Veränderungen mit sich gebracht. Herr Brengelmann würde sich im Grab umdrehen, wüsste er, dass heute der Begriff “Psychotherapie” als Synonym für “Verhaltenstherapie” benutzt wird.

Ein typisches Beispiel sind die Titel von Forschungsberichten in Fachzeitschriften. So finden Sie im Heft 4 in 2011 der Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie ab S. 224 einen Artikel mit dem Titel: “Wenn Therapien vorzeitig scheitern. Merkmale und Risikofaktoren von Abbrüchen in der ambulanten Psychotherapie von Tatima Cinkaya, Amrei Schindler und Wolfgang Hiller.

Der Untersuchungsgegenstand wird so beschrieben:

“Es handelt sich um naturalistische Psychotherapien im Sinne von Routinetherapien, da die Patienten nicht zum Zwecke wissenschaftlicher Untersuchungen selektiert waren und keine Evaluation eines bestimmten therapeutischen Vorgehens erfolgte” (S. 226).

Bei der Darstellung des Settings (S. 226) erfährt der Leser, dass der Geltungsbereich der Untersuchung doch sehr spezifisch zu sein scheint: Untersucht wurden “kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungen” und die Behandler waren sowohl approbierte Psychotherapeuten als auch Ausbildungskandidaten, deren Behandlungen – wie gesetzlich vorgesehen – supervidiert wurden. Ob die Ergebnisse dieser Studie auch für den niedergelassenen Psychotherapeuten mit einer Kassenzulassung mit Schwerpunkt Tiefenpsychologisch fundierte Therapie Gültigkeit haben, bleibt zu bezweifeln.

Ich fürchte, dass sich diese Frage bald nicht mehr stellen wird. Die Vertreter der Verhaltenstherapie haben sich nicht nur die Klinische Psychologie an den deutschen Universitäten einverleibt, sie werden auch die ambulante Psychotherapie schlucken.

Ich habe nichts gegen die Verhaltenstherapie, wohl aber gegen ihren stetig wachsenen Omnipotenzanspruch und gegen den damit einhergehenden Verdrängungsprozess der anderen Paradigmen der Psychotherapie.

Dieser Verdrängungsprozess ist keine Befürchtung von mir, sondern man kann ihn an Zahlen ablesen. So sind im Jahre 2011 die sechs Herausgeber der bereits zitierten Zeitschrift Klinische Psychologie und Psychotherapie (Göttingen: Hogrefe) ausnahmslos behavioral ausgerichtet. Unter den 29 Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats dieser Zeitschrift findet sich nur eine einzige Person, die nicht Verhaltenstherapeut ist: ein psychoanalytisch orientierter Arzt.

Wir steuern m.E. unaufhaltsam auf eine psychotherapeutische Monokultur zu. Das ist nicht gut. Elke Schmitter hat sich jüngst im SPIEGEL mit der Frage auseinandergesetzt, welche Vorteile und Nachteile Monokulten haben und befindet:

“Monokulturen sind nur dann effizient, wenn sie sich einer begrenzten Aufgabe widmen, die keinerlei Fragen aufwirft (ich denke hier an Fußball). (…) Je diverser eine Gruppe zusammengesetzt ist, vorausgesetzt ihre Spielregeln sind demokratisch, umso lebendiger, also umso intelligenter kann sie sein. (…) je homogener sie sich formiert, umso träger wird sie sich organisieren und verhalten. Sie reproduziert sich selbst, statt auf Differenz und Entwicklung zu setzen. Sie nimmt ihre Umwelt nur noch eingeschränkt wahr; sie leidet unter Realitätsverlust. Der Verfassungsschutz ist ein Beispiel dafür, die FDP ein anderes und. …” (E. Schmitter: SPIEGEL 11, S. 145, 2012).

Ich würde gern ergänzen: auch diktatorische Staatsgebilde, wie das ehemalige Libyen, und Einparteienstaaten, wie die ehemalige DDR, waren gesellschaftliche Monokulturen – und die sind ja bekanntlich langfristig gescheitert.

Da kommt Hoffnung auf. Oder?

Aber: Wer kann sich dann noch mit wem VERSÖHNEN?

Literatur

Caspar, F. & Berger, Th. (2011). Allgemeine Psychotherapie. In: B. Dulz, C.C. Herpertz, O.F. Kernberg & U. Sachse (Hrsg.), Handbuch der Borderline-Störungen. 2. Aufl. (S. 667-680). Stuttgart: Schattauer.
Cottraux J.. et al. (2009). Cognitive Therapy versus Rogerian Supportive Therapy in Borderline Personality Disorder. Two-Year Follow-Up of a Controlled Pilot Study
Psychother Psychosom 2009;78:307-316.
Fiedler, P (Hrsg.) (2012). Die Zukunft der Psychotherapie. Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?”. Heidelberg: Springer.
Hautzinger, M. & Thies, E. (2008). Klinische Psychologie: Psychische Störungen. Weinheim/Basel: BeltzPVU
Lambert, M. J. & Ogles, M. (2003). The efficacy and effectiveness of psychotherapy. In: M. Lambert, A. Bergin, & S. Garfield (Eds.), Handbook of psychotherapy and behavior change (5th ed.; pp. 121-193). New York: Wiley.
Luborsky, L., Singer, B & Luborsky, L. (1975). Comparative studies of psychotherapy: Is it true that. “Everybody has won und all must have prizes”? Archives of General Psychiatry, 32, 995-1008.
Luborsky, L., Diguer, L., Seligman, D. A., Rosenthal, R., Krause, E. D., Johnson, S., Halperin, G., Bishop, M., Berman, J. S. & Schweizer, E. (1999). The researcher’s own therapy allegiances: A “wild card” in comparsion of treatment efficacy. Clinical Psychology. Science and Practice, 6, 95-106.
Strauß, B., Hautzinger, M., Freyberger, H.J., Eckert, J. & Richter, R. (2010). Wie wissenschaftlich fundiert sind Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Psychotherapie? Methodenkritische Anmerkungen zur Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 24.4.2008 im Zusammenhang mit der Nutzenbewertung der Gesprächspsychotherapie bei Erwachsenen. Psychotherapeutenjournal 9: 160-168.