Humanistische Psychotherapie: beziehungsfokusiert, körperbasiert und integrativ
Bericht von der Fachtagung am 06. und 07. September 2024
Wieder einmal zeigte sich die Sigmund-Freud-Universität in Berlin offen für eine Veranstaltung mit einem zu der eigenen therapeutischen Orientierung differenten therapeutischen Menschenbild und Therapieverständnis. Zur Freude der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) waren viele zukünftige Kolleg*innen (Studierende, PiAs) an den grundlegenden Konzepten der Humanistisch-psychologischen Psychotherapie und den Diskussionen mit ältere Kolleg*innen interessiert.Als versierter Kenner und Vertreter der Humanistischen Psychotherapie (HPTh) spannte Jürgen Kriz einen Bogen über „Historisches – Gegenwärtiges – Zukünftiges“. Für viele unbekannt: Die Ursprünge und Grundlagen der HPTh stammen aus dem Deutschland der Vorkriegszeit und kamen über die USA später „zurück“ zu uns. Er wies auf Aspekte des eigenständigen Menschenbildes der HPTh hin mit Folgen für ein Forschungsdesign, dass nämlich menschliches Verhalten nicht wesentlich auf die Kontrolle von Stimulusbedingungen oder Verstärkermechanismen zurückzuführen ist, sondern als (aus der Sicht der handelnden Person) konstruktive und sinnvolle Antwort auf eine Situation gesehen wird. Die Erkundung dieses Sinns und damit der kritischen Reflexion des Verhaltens und der maßgeblichen Emotionen leite u.a. den Therapieprozess. Dort ist weniger Manualtreue gefragt, sondern die kreative Fähigkeit zur Kombination von Methoden und Techniken im Zusammenhang mit dem jeweiligen Kontext. Die einzelnen Ansätze der HPTh lassen sich so als spezifische Ausdifferenzierung der Grundfrage verstehen: „Wie wird inneres Erleben (einschließlich des Erlebens der äußeren Gegebenheiten) angemessen und kongruent zur Sprache gebracht?“
Die Anforderungen an dafür nötige Kompetenzen standen im Zentrum des zweiten Vortrags. Ernst Diebels referierte über „Allgemeine Wirkgrößen und Schlüsselkompetenzen für erfolgreiche Psychotherapie“. Ein kritischer Blick galt den Schwächen des RCT-Studiendesigns, das zwar gerne als „Doppelblind-Studiendesign“ bezeichnet wird, in Wahrheit aber dieses Etikett nicht verdienen könne. Schließlich wisse – z.B. – jeder Therapeut/jede Therapeutin, welche Art von Behandlung er/sie gerade durchführe – und entsprechend wüssten in der Regel auch Patient*innen, an welcher Maßnahme sie teilnähmen. Sein Credo: Kompetenzen aus der Kenntnis der allgemeinen Wirkfaktoren ableiten, deren Überlegenheit über verfahrensspezifische Faktoren sich in Metaanalysen deutlich erwiesen habe.
Der wissenschaftlichen Forschung widmete sich Otto Glanzer in „Forschungsstrategien für die Humanistische Psychotherapie“. Durch die Bevorzugung bestimmter Forschungsmethoden auf Grund von Interessenslagen sei es in Deutschland zu einer Schieflage in der Forschung gekommen. Auch die Novellierung des Psychotherapeutengesetzes habe durch die Änderung der Legaldefinition von Psychotherapie von „wissenschaftlich anerkannt“ zu „wissenschaftlich anerkannt und geprüft“ die Forschung zu Verfahren außerhalb des deutschen Regelwerkes erschwert: Hiesige Anstrengungen müssten (immer noch) den Kriterien des Methodenpapiers des Wissenschaftlichen Beitrags genügen und ihre Wissenschaftlichkeit belegen, während in anderen Ländern diese Notlage nicht bestehe. Viele in Deutschland nicht „hoffähige“ Verfahren könnten im Ausland ihre Psychotherapieforschung freier auf detailliertere, weiter führende Fragestellungen richten. Ihre Ergebnisse seien dadurch wiederum für Wirksamkeitsnachweise gemäß dem deutschen Kanon nicht verwendbar.
Ein Schlaglicht auf diese „Schieflage“ warf recht konkret Manfred Thielen im Beitrag „Der Körper in der Humanistischen Psychotherapie“ – ist doch die Körperpsychotherapie als eigenständiges Verfahren im europäischen und außereuropäischen Ausland anerkannt. In die Skizzierung der Entwicklungsgeschichte der Körperpsychotherapie – von Wilhelm Reich und Elsa Gindler über Alexander Lowen zu einigen jüngeren Vertreter*innen dieser Orientierung – hat er die Bedeutung des körperlichen Erlebens für jegliche subjektive Erfahrung betont und damit auch ihre Beachtung in der Psychotherapie als unerlässlich hervorgehoben. Ihre Entwicklung stehe von Anfang an in enger Verbindung zu derjenigen der Humanistischen Psychotherapie. Folglich enthalte jede der sechs Vorgehensweisen in der HPTh Elemente und Ansätze zur Einbeziehung des Körpers. Anhand eines Fallbeispiels, bei dem der Fokus auf dem Körper lag, stellt er die Integration der sechs Ansätze dar
Nach zwei Runden mit je zwei Workshops zu den Vortragsthemen bildete eine gemeinsame Diskussion zu einem Fall den inhaltlichen Abschluss der beiden Tage. Es war nicht ganz einfach, in dieser Erörterung eine gemeinsame Zielrichtung zu finden. Erfrischend hat sich ausgewirkt, dass jüngere Kolleg*innen mit ihren Fragen und Hinweisen unerwartete Akzente gesetzt haben. Dies war für die Veranstalter insofern eine Ermunterung, als sich hier zeigte, dass die HPTh jüngere Kolleg*innen bewegen kann und sich damit wieder einmal ein Moment der Ermutigung einstellte.