Univ.-Prof. Dr. Arist von Schlippe

 

Laudatio für Jürgen Kriz anlässlich der Verleihung des Bundesverdientkreuzes

Osnabrück 29.9.2020

 

Es ist mir eine Freude und erfüllt mich mit Stolz, dass ich heute hier für Jürgen Kriz, meinen Doktorvater, früheren Chef und heutigen Freund eine Laudatio halten darf, wobei ich gebeten wurde, dass „kurz“ wirklich „kurz“ ist. Ich will mich daran halten.

Mit dem Bundesverdienstkreuz wird hier und heute m.E. völlig zu Recht ein Lebenswerk geehrt, für das es nicht viele Beispiele gibt, genau genommen keines. Die Landschaft der Psychotherapie in unserem Land wäre ohne Jürgen Kriz eine andere, eine ärmere.

Seit Menschen begonnen haben, sich mit der menschlichen Seele zu beschäftigen, ist dieses potentiell grenzenlose Feld von der gedanklichen Arbeit und der Kreativität von Wissenschaftlern und Praktikern – immer natürlich auch -innen! – auf vielfache Weise durchdrungen worden. Hier ist in den letzten hundert bis 120 Jahren ein Reichtum an Konzepten und Modellvorstellungen vom Seelischen entstanden. Dieser Reichtum ist bedroht – zum einen durch einen frustrierenden Schulenstreit über die richtige Psychotherapie vor dem Hintergrund eines verengten Wissenschaftsbegriffs, zum anderen durch die Konzentration auf kurzfristige Effizienz vor dem Hintergrund ökonomischer Sachzwänge.

Jürgen Kriz hat sich seit Beginn seiner akademischen Tätigkeit damit auseinandergesetzt, dass gerade in einer von Messdaten beherrschten Welt die Aufgabe der Wissenschaft darin besteht, mit Wissen verantwortlich umzugehen, also nicht allein auf die Sicherheit statistischer Signifikanzen zu vertrauen. „Wo bleibt die Verantwortung des Menschen in einer von Messdaten beherrschten Lebenswelt?“ war der Titel seines Vortrags anlässlich der Verleihung des Margrit Egner-Preises, eines der höchsten Schweizer Psychotherapiepreise, der ihm vor beinahe einem Jahr in Zürich verliehen wurde.

Wir leben in einer von Sinnzusammenhängen durchsetzten seelischen und sozialen Welt. Es ist eine einzigartige menschliche Fähigkeit, auf komplexe Weise Sinn zu erzeugen. Dieses Thema hat Jürgen Kriz immer beschäftigt – die Kategorie Sinn gilt ja für psychische wie für soziale Systeme gleichermaßen. Um diese zu verstehen, braucht es eine weit gestellte Optik, eine, die die Psychologie nicht allein aus ihren naturwissenschaftlichen Wurzeln heraus leisten kann.

So war es für ihn eine besondere Herausforderung, den wissenschaftlichen Blick offenzuhalten – in der Psychologie im Allgemeinen und in der Psychotherapie im Besonderen. Sein konkretes Anliegen war es, die Perspektiven der Humanistischen und der systemischen Psychotherapieformen zusammenzuführen und zugleich ihre Besonderheit zu betonen. Es sind zwei Verfahren, denen hier – anders als in anderen Ländern – lange Zeit die Marginalisierung drohte. Sein Engagement ging weit über das Akademische Feld und weit über sein aktives Berufsleben hinaus. Ich erinnere mich gut an eine Situation, deutlich mehr als 20 Jahre her, als er sagte: „Ich habe mich entschieden, mich einzumischen! Das, was hier in der Psychotherapie passiert, kann nicht so bleiben!“ Und genau das hat er getan. Er hat dafür gesorgt, dass die Psychotherapielandschaft in Deutschland heute von Artenvielfalt geprägt ist. Und wir alle wissen, dass Artenvielfalt die Voraussetzung für ein stabiles ökologisches Gleichgewicht ist.

Lieber Jürgen, Du hast in einem besonderen Feld intensiv gekämpft, nicht für Dich persönlich, sondern für ein Segment von gesellschaftlicher Bedeutung. Es freut mich stellvertretend für viele andere Vertreter unserer Zunft, dass dieses Engagement heute auch von höchster Stelle anerkannt und gewürdigt wird. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Ehrung!

Univ.-Prof. Dr. Arist von Schlippe