Werner Eberwein: Stand und Hintergründe des Antrages der AGHPT an den WBP
Zurzeit wird in Deutschland intensiv über die Neuregelung der Ausbildung der Psychotherapeuten diskutiert. Konkret soll das Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) von 1999 novelliert werden. Im Zuge dessen wird es künftig eine Direktausbildung zum Master-Psychotherapeuten mit Approbation geben (anstelle der bisherigen zweistufigen Ausbildung: zuerst Psychologie- oder Medizinstudium, anschließend Psychotherapie-Ausbildung zur Approbation).
Auf dem 25. Deutschen Psychotherapeutentag (DPT), der Delegiertenversammlung der Bundespsychotherapeutenkammer, wurde im November 2014 beschlossen, dass in der zukünftigen Direktausbildung alle vier Grundorientierungen der Psychotherapie (Verhaltenstherapie, Psychodynamische Therapie, Systemische Therapie und Humanistische Psychotherapie) gleichberechtigt und „mit Strukturqualität“ (d.h. mit eigenen Stellen, Finanz- und Forschungsmitteln) gelehrt werden müssen. In welchem zeitlichen Umfang das im Psychotherapiestudium erfolgen soll, darüber geht die Debatte im Deutschen Psychotherapeutentag weiter.
Allerdings sind zwei der vier Grundorientierungen aus der Möglichkeit zur ambulanten Abrechnung mit den Krankenkassen ausgeschlossen. Abrechnen können nur die „Richtlinienverfahren“, die 1998 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in die Psychotherapie-Richtlinien aufgenommen wurden: die Psychodynamische Psychotherapie (Tiefenpsychologie und Analytische Psychotherapie) und die Verhaltenstherapie. Die Humanistische und die Systemische Therapie wurden in die Psychotherapie-Richtlinien nicht aufgenommen.
Im G-BA sitzen Vertreter der Verbände der Krankenkassen, der Kassenärzte und Kassenzahnärzte, der Krankenhäuser sowie Patientenvertreter (diese aber ohne Stimmrecht). Der G-BA entscheidet, für welche medizinischen und psychotherapeutischen Leistungen die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
Die Aufnahme der beiden „Richtlinienverfahren“ und der Ausschluss der Humanistischen und der Systemischen Therapie aus der Kassenversorgung geschah damals als Resultat von Machtkämpfen hinter den Kulissen und ohne jede Prüfung der Wissenschaftlichkeit oder Wirksamkeit der jeweiligen Verfahren auf bürokratischem Wege durch Beschluss im G-BA.
Für die Zulassung zur Kassenabrechnung müssen nun diejenigen Psychotherapieverfahren, die nicht in den Psychotherapierichtlinien aufgenommen wurden, zunächst vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) als „wissenschaftlich anerkannt“ begutachtet werden (nach den von ihm selbst aufgestellten und inzwischen vielfach höher gesetzten und veränderten Kriterien).
Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) wird gegenwärtig als Gutachtergremium für die Feststellung der Wissenschaftlichkeit von Psychotherapieverfahren verstanden. (Nach §11 des Psychotherapeutengesetzes hat der WBP eigentlich nur eine beratende Funktion. Eine Landesbehörde kann ihn anfragen, wenn sie Zweifel an der Wissenschaftlichkeit eines Verfahrens hat, das von Ausbildungsstätten vermittelt wird und zur Approbation führen soll.)
Der WBP ist paritätisch besetzt. Die Vorstände der Bundesärztekammer und der Bundespsychotherapeutenkammer benennen jeweils 6 Mitglieder mit ihren jeweiligen Stellvertretern. Zurzeit besteht er aus Hochschullehrern, die in überwiegender Mehrheit Vertreter der etablierten Richtlinienverfahren sind. Im WBP sitzt kein einziger Vertreter der Humanistischen Psychotherapie; kein WBP-Mitglied hat eine durch Publikationen belegte fachliche Expertise für Humanistische Psychotherapie.
Das bedeutet, dass Vertreter der Richtlinientherapien darüber entscheiden, ob ihre Konkurrenz (z.B. die Humanistische Psychotherapie) „wissenschaftlich“ ist – ein problematisches Verfahren.
Die Beurteilung der Wissenschaftlichkeit geschieht ausschließlich anhand von Wirksamkeitsstudien nach dem RCT-Design. Deren Eignung zur Überprüfung der Wissenschaftlichkeit und Wirksamkeit von Psychotherapieverfahren wird seit langem von Experten der empirischen Psychologie in Frage gestellt.
Wenn der WBP ein Verfahren als „wissenschaftlich“ befunden hat, muss es in einem zweiten Schritt vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Kassenabrechnung zugelassen werden.
Eine solche Doppelhürde (zuerst WBP, dann G-BA) gibt es in keinem anderen Land der Welt. Seit 1998 ist es noch keinem einzigen Verfahren gelungen, diese Doppelhürde zu überwinden. Die Vermutung liegt nahe, dass das auch gar nicht beabsichtigt ist. Die immer weiter erhöhten Anforderungen, die extrem langen „Bearbeitungszeiten“ (3-10 Jahre pro „Hürde“) sowie jahrelange Untätigkeit (6 Jahre bei der Systemischen Therapie) dienen offensichtlich dazu, den Status Quo aufrechtzuerhalten.
Die Vertreter der Richtlinientherapien wollen, dass die Psychotherapeutenausbildung und die Abrechnung von Psychotherapie ausschließlich von der psychodynamischen Therapie und der Verhaltenstherapie realisiert werden kann. Dies entspricht weder dem internationalen wissenschaftlichen Stand noch der fachlichen Entwicklung der Psychotherapie als Profession. Dahinter stecken letztlich pekuniäre Interessen.
2012 hat Prof. Jürgen Kriz im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) einen Antrag an den WBP auf wissenschaftliche Anerkennung des Verfahrens „Humanistischen Psychotherapie“ gestellt.
Die AGHPT wurde am 2010 gegründet als Zusammenschluss von 11 Verbänden mit über 10.000 Mitgliedern und kompetenten Einzelpersonen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Humanistische Psychotherapie in Wissenschaft und Anwendung zu fördern und zu verbreiten.
An „Methoden“ sind darin vertreten: Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Körperpsychotherapie, Psychodrama, Logotherapie/Existenzanalyse und Transaktionsanalyse.
Als Verbände sind in ihr organisiert: DDGAP, DFP, DGIK, DGK, DGLE, DGTA, DPGG, DVG, GLE-D, GwG und VPP.
Der Antrag der AGHPT an den WBP ist jetzt, nach 4 Jahren (Stand: Mai 2016), noch immer nicht beschieden. Es ist offen, wann er letztlich beschieden werden wird – der Beirat hat sich dazu auf mehrere Nachfragen der AGHPT nicht geäußert. Ein offener Brief der AGHPT an den WBP mit Nachfragen wurde seit nunmehr 17 Monaten nicht beantwortet. Vier Vertreter der AGHPT wurden im September 2015 zu einem Hearing in den WBP eingeladen, aber die Einsicht in den entsprechenden Protokollpunkt des WBP wurde uns auf Anfrage verwehrt.
Der WBP tagt im Geheimen und diskutiert den Antrag der AGHPT unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch und gerade der Fachöffentlichkeit. Eine wirkliche wissenschaftliche Diskussion ist auf diese Weise nicht möglich.
Selbst wenn der WBP die Wissenschaftlichkeit der Humanistischen Psychotherapie letztlich bestätigen würde, würde vor dem G-BA dasselbe Prozedere mit wiederum mindestens 3-9jährigem Verlauf noch einmal von vorn beginnen. Das erleben gerade die Kolleginnen und Kollegen der Systemischen Therapie. Die Systemische Therapie wurde vom WBP bereits im Jahr 2008 als wissenschaftlich anerkannt. Seit 2014, also sechs Jahre danach, wird sie im Auftrag des G-BA vom IQWIG (einem privaten „Institut für Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“) nochmal von vorn auf ihre „Wirksamkeit“ hin überprüft wird.
Das hat schon fast satirischen Charakter, besonders weil sich WBP und G-BA 2008 auf ein „Methodenpapier“ geeinigthaben, damit die zur Begutachtung eingereichten Studien nach denselben Kriterien geprüft werden können. De facto werden also die selben Studien nach denselben Kriterien noch einmal „geprüft“.
Bereits im Jahr 1999 war die Humanistische Gesprächspsychotherapie vom WBP als „wissenschaftlich“ anerkannt worden. Dennoch lehnte der G-BA 2008, also neun Jahre danach, den Antrag der Gesprächspsychotherapie auf Zulassung zur Kassenabrechnung mit einem nur als perfide zu bezeichnenden Manöver ab (das Verfahren ist >>>hier ausführlich dokumentiert). Der G-BA gilt als „oberstes Gremium der Selbstverwaltung“, daher ist gegen seine Entscheidung kein gerichtliches Klageverfahren zulässig.
Es sollte deutlich werden, dass es bei dem Anerkennungsprocedere primär gar nicht nicht um Wissenschaftlichkeit und Wirksamkeit geht, sondern letztlich um den Schutz von „Claims“.
Die bereits zur Kassenabrechnung zugelassenen Richtlinienverfahren bedienen sich darüber hinaus seit vielen Jahren mehr und mehr an Kernbestandteile der Humanistischen Psychotherapie und versuchen, diese in ihr eigenes Paradigma einzugliedern, oft ohne ausreichend ihre Quellen zu benennen. Dabei werden die Humanistischen Arbeitsweisen ihrer dialogisch-phänomenologischen Philosophie entkleidet, vom Humanistischen Menschenbild getrennt und als bloße Technik-Hüllen übernommen.
Beispiele dafür sind in der Verhaltenstherapie die sogenannte „dritte Welle“ mit bspw. der Akzeptanz- und Commitmenttherapie, der Schematherapie und dem Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy und in der Psychodynamischen Psychotherapie die Relationale und die Interpersonale Psychoanalyse.
Während die Humanistische Psychotherapie also nicht zur Kassenabrechnung zugelassen ist und offiziell noch nicht einmal als „wissenschaftlich“ gilt, entnehmen die Richtlinienverfahren mehr und mehr von ihrer Kernsubstanz und tun so, als ob das von jeher Eigenentwicklungen der Verhaltenstherapie bzw. der Psychodynamischen Psychotherapie gewesen seien.
Im Ergebnis werden die bestens wissenschaftlich belegten und hocheffektiven Ansätze der Humanistischen Psychotherapie den hilfesuchenden Psychotherapiepatienten bereits seit vielen Jahren und nun auch noch weiterhin viele Jahre vorenthalten.
Der Verlauf des Antragsverfahren der AGHPT ist hier vollständig dokumentiert: http://aghpt.de/antraege-an-den-wissenschaftlichen-beirat-psychotherapie-wbp/.
Werner Eberwein