Werner Eberwein: Warum will die HP in die Weiterbildung?

Warum will die Humanistische Psychotherapie in die Berliner Weiterbildungsordnung aufgenommen werden?

Stellungnahme auf dem Fachtag „Einführung von verfahrensbezogenen Weiterbildungen in der PTK Berlin?“ in der Psychotherapeutenkammer Berlin am 3.11.2015

Ich spreche als Vertreter und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT), der 11 Verbände sämtlicher psychotherapeutischer Ansätze der Humanistischen Psychotherapie angehören.

Wir streben die Aufnahme in die Berliner Weiterbildungsordnung – nach heutigem Recht – analog der Neuropsychologie, der Gesprächspsychotherapie und der Systemischen Therapie an, die ja in einigen Landesweiterbildungsordnungen bereits in den Landesweiterbildungsordnungen enthalten sind.

Es geht uns darum, das Führen der Zusatzbezeichnung „Humanistische Psychotherapie“ als kammerzertifizierten Titel und als Qualitätsmerkmal zu etablieren.

Damit würde ein klarer Status mit Rechtssicherheit und Titelschutz auch für diejenigen approbierten Kolleginnen und Kollegen etabliert, die bereits eine Ausbildung in Humanistischer Psychotherapie absolviert haben.

Darüber hinaus würde perspektivisch ein Mindeststandard für Lehrbefähigte etabliert, die im künftigen Direktstudium die Fachkunde in Theorie und Praxis der Orientierung Humanistische Psychotherapie lehren können.

Was ist Humanistische Psychotherapie?

Die philosophischen Quellen der Humanistischen Psychotherapie stammen aus

  • der Existenzphilosophie in der Nachfolge von Kierkegaard und Sartre,
  • der Hermeneutik nach Schleiermacher, Dilthey und Gadamer,
  • dem modernen Humanismus,
  • dem Holismus,
  • der Feldtheorie nach Lewin,
  • der Dialogphilosophie nach Buber und
  • den östlichen Philosophien, besonders dem Daoismus, dem Buddhismus und dem Zen.

Die psychologischen Quellen der Humanistischen Psychotherapie sind vor allem

  • die Humanistische Psychologie von Maslow, Bühler, Bugental und Rogers,
  • die Human-Potential-Bewegung,
  • die Gestalttheorie von Wertheimer, Köhler und Koffka und
  • die Organismische Theorie von Goldstein.

Im Jahr 2010 gündete sich auf Initiative des Verbands Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im BDP (VPP) die Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT), in der die Verbände aller Richtungen der Humanistischen Psychotherapie vertreten sind.

In einem intensiven Prozess der Koordination und Abstimmung vereinigten sich diese sechs Humanistischen Richtungen als (in der Terminologie des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie) „Methoden“ unter dem Dach des „Verfahrens“ Humanistische Psychotherapie. Als Ergebnis dieses Prozesses kann unter vielem anderen eine gemeinsame Definition der Humanistischen Psychotherapie sowie des Humanistischen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit auf der Website www.aghpt.de nachgelesen werden.

2012 stellte Prof. Jürgen Kriz im Auftrag der AGHPT einen Antrag an den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie auf Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie als Verfahren und fügte etwa 300 hochwertige Studien bei, die die Wirksamkeit der Humanistischen Psychotherapie nachweisen. Bis heute, also drei Jahre nach Antragstellung, hat der Beirat darüber noch immer nicht entschieden.

Seither hat die AGHPT zwei Kongresse mit jeweils etwa 500 Teilnehmern veranstaltet und ein Handbuch herausgegeben, das den aktuellen Stand der Humanistischen Psychotherapie wiedergibt.

Auf der Website der AGHPT sind außerdem acht einstündige Video-Interviews mit prominenten Vertretern der Humanistischen Psychotherapie sowie integrativer Verfahren zu sehen, die ich durchgeführt habe.

Historisch hat sich die Humanistische Psychotherapie zunächst in Form von Schulen herausgebildet, die die Arbeitsweise von Gründerpersönlichkeiten weitergeführt haben, das sind:

  • die Gesprächspsychotherapie nach Rogers
  • die Gestalttherapie nach Perls
  • das Psychodrama nach Moreno
  • die Körperpsychotherapie nach Reich
  • die Transaktionsanalyse nach Berne und
  • die Logotherapie nach Frankl.

Was die Humanistischen Arbeitsweisen verbindet ist vor allem ihr Menschenbild, das auf das fokussiert, was am Menschen spezifisch Menschlich ist, also insbesondere

  • die Wahlfreiheit und Reflexionsfähigkeit des Menschen,
  • die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Gestaltung seines Lebensweges in Wechselwirkung mit den materiellen und sozial-ökologischen Bedingungen,
  • die höheren, spezifisch menschlichen Bedürfnisse, besonders das Bedürfnis nach Selbstaktualisierung und Potentialentfaltung sowie die
  • finale Ausrichtung des Menschen an Sinn und Werten.

Verfestigtes psychisches Leid im Sinne krankheitswertigen psychischen Störungen versteht die Humanistische Psychotherapie als Ergebnis multipler Entfremdungen, verursacht durch Traumata und pathogene Beziehungsstrukturen.

Die Humanistische Psychotherapie vertritt ein Konzept der therapeutischen Beziehung, bei dem

  • Akzeptanz und Wertschätzung,
  • empathisches Verstehen und dialogische Auseinandersetzung sowie
  • die Arbeit an der Beziehung in der Beziehung in psychovegetativer Resonanz

im Mittelpunkt stehen.

In ihrer Methodik versteht sich die Humanistische Psychotherapie als erlebensorientiert und emotionsfokussierend, und sie bezieht nonverbale, also körperorientierte und darstellende Interventionen ein.

Worauf stützt die Humanistische Psychotherapie ihren Antrag auf Aufnahme in die Weiterbildung?

In §2 Punkt 1 der Berliner Weiterbildungsordnung ist bewusst in Sinne einer Öffnungsklausel vorgesehen, dass auch „wissenschaftlich begründete“ Psychotherapieverfahren die also vom Wissenschaftlichen Beirat nicht oder noch nicht anerkannt sind, in die Weiterbildung aufgenommen werden können.

In Anlage 1 der Berliner Fortbildungsordnung ist definiert, was „wissenschaftlich begründete“ Verfahren sind, nämlich solche Verfahren, die

  • nach dem wissenschaftlichen Sach- und Fachverstand oder
  • nach der Fachliteratur, in Lehre und Forschung oder
  • unter Einbeziehung internationaler Standards und wissenschaftlicher Ergebnisse

als wissenschaftlich zu betrachten sind oder die

  • lehrbare Krankheits- bzw. Störungsmodelle haben oder die
  • praxisrelevant und klinisch erprobt sind.

Diese Kriterien erfüllt die Humanistische Psychotherapie in jedem Fall.

Auch der Ausschuss Aus-, Fort- und Weiterbildung der Berliner Psychotherapeutenkammer unterstützt mehrheitlich den Antrag der Humanistischen Psychotherapie auf Aufnahme in die Weiterbildung.

Welchen Umfang soll die Weiterbildung „Humanistische Psychotherapie“ haben?

Die Weiterbildung „Humanistische Psychotherapie“ soll bestehen aus mindestens:

  • 240 Stunden theoretischer und
  • 240 Stunden praktische Weiterbildung
  • 65 Stunden Selbsterfahrung und
  • 60 Stunden Supervision.

Kolleginnen und Kollegen, die bereits eine Weiterbildung in einer Humanistischen „Methode“ mit mindestens 400 Stunden theoretischer und 240 Stunden praktischer Weiterbildung absolviert haben, müssten zum Erwerb der Zusatzbezeichnung zusätzlich 66 Stunden Vertiefungsseminare Humanistische Psychotherapie absolvieren.

Warum will die Gesprächspsychotherapie als eigenes Verfahren und als Methode der Humanistischen Psychotherapie in die Weiterbildung?

Das ist historisch begründet. Die Gesprächspsychotherapie war ja von Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie anerkannt, lange vor dem gemeinsamen Antrag der Humanistischen Psychotherapie.

Perspektivisch wäre die wissenschaftliche Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie als Verfahren anzustreben, das dann (ebenso wie heute schon die Systemische Therapie, die Psychodynamische Psychotherapie mit insgesamt 23 Methoden und die Verhaltenstherapie mit insgesamt 55 Techniken) ein breites Spektrum von psychotherapeutischen Zugängen vereint.